Stefan durchlebt das vorweihnachtliche Drama...
Es ist drei Uhr nachmittags und Stefan hat schlechte Laune. Warum? Ein Berg Weihnachtskarten liegt auf seinem Schreibtisch. Die Weihnachtspost schiebt er bereits seit Tagen vor sich her. Heute muss er also alles auf einen Streich erledigen. Wäre es doch schon heute Abend. Da trifft er sich mit alten Kollegen, die zusammen mit ihm die Meisterprüfung bestanden haben. Ihm zuliebe nennen sie ihr Treffen auch nicht Weihnachtsfeier sondern Jahrestreffen. Das gefällt ihm, denn von dem ganzen Weihnachtsgedöns hat er die Schnauze gestrichen voll. Da fängt er an zu schmunzeln. Denn Carlotta ist heute Abend auch dabei. Die Weihnachtsliebhaberin, so denkt er, ist mit Sicherheit mit den Weihnachtsgrüßen bereits durch. Streberin!
"Gesellschaftlicher Zwang zur frohen Weihnacht?"
Bestimmt fragt sie ihn: „Na Stefan? Weihnachtspost schon erledigt?“ Natürlich wohlwissend grinsend. Um was gewettet? Er bekommt mit Sicherheit wieder eine Moralpredigt über die besinnliche Weihnachtszeit. Für ihn ist allerdings nichts Besinnliches an Weihnachten.
Weihnachtskarten – die braucht kein Mensch. Spätestens ab der fünften im Briefkasten denkt sich doch jeder, bitte nicht noch eine mehr. Und der ganze Aufwand, der damit verbunden ist. Dass ich mich gerade heute mit einem Berg Weihnachtspost rumschlagen muss, obwohl noch schmutziges Werkzeug in der Garage steht, ich ein Angebot für ein Mehrfamilienhaus ausarbeiten soll und obendrein in gut einer Stunde einen Kundentermin auf einer Baustelle in der Innenstadt habe – das ist doch Wahnsinn.
"Nächstenliebe light – trauriger Standard"
„Liebe deinen Nächsten“ steht in Gold auf der Karte. Wer hat denn diese epischen Kunstwerke mit unterschwelliger Botschaft ausgesucht? Ob damit auch der Obdachlose vorm Eingang vom Supermarkt um die Ecke gemeint ist? Oder die Schulkinder, denen man in der Hektik des Tages vormacht, wie man bei Rot über die Ampel geht? Mit Sicherheit nicht. Das ist doch alles Heuchelei. Und das, liebe Carlotta, geht mir absolut gegen den Strich. Elf Monate Stress und Egoismus. Jedoch sobald die erste Kerze leuchtet, erwärmt sich unser Herz und alle liegen sich in den Armen. Auf einmal ist Familie doch das Wichtigste im Leben und nächstes Jahr sieht man sich definitiv öfter – ja klar.
Und der alljährliche Konsumwahn zur Weihnachtszeit regt mich so richtig auf. Alles muss schneller, besser und größer sein, einfach nur abstoßende Angeberei. Ein 900-Euro-Handy für meinen gerade mal 10-jährigen Neffen. Oder mein Nachbar. Eine einfache Lichterkette in der Tanne reicht da schon lange nicht mehr. Nein – ein Motiv-Laser-Projektor sorgt für die aufwendigste Beleuchtung in der Straße und für neuronale Störungen bei den Nachbarn. Und während mir noch das rechte Auge zuckt, nervt mich meine Freundin, sie bräuchte noch unbedingt einen neuen Designer-Fummel für die Weihnachtsfeier … Ach, lassen wir das. Wem ist denn die Geschichte Jesu Christi dabei überhaupt noch wichtig?
Jetzt schneit‘s auch noch, ach wie schön. Das macht den Straßenkrieg da draußen gleich viel besser. Alle kommen zum Einkaufen in die Stadt. Da brauchst du für fünf Kilometer nur eine halbe Stunde. Das nenne ich mal besinnliches Weihnachten und Entschleunigung. Wenn alle von einer weißen Weihnacht schwärmen, sind wir draußen auf der Straße die Gelackmeierten. Von uns wird immer Pünktlichkeit erwartet, auch bei Glätte und Schnee. Wenn du dann noch in Schulhofnähe parkst, hast du das große Los gezogen. Natürlich freue ich mich, wenn ich sehe, dass Kinder draußen an der frischen Luft spielen und nicht nur vor der Playstation abhängen, aber bitte … Die auffällige Gestaltung unserer Fahrzeugflotte dient gutem Marketing und nicht der besseren Navigation für Schneebälle.
Stefan versucht ruhig und entspannt zu bleiben. Er kramt sein Handy aus der Hosentasche und streamt schon mal seine Playlist von Metallica für die Fahrt in die Innenstadt.
"Folter durch Last Christmas & Co."
Meinen Lieblingssender im Radio meide ich seit dem ersten Advent. „Last Christmas“ und „All I Want for Christmas Is You“ hängt mir zum Hals raus und auf die ganzen Weihnachtsjingles in der Werbung kann ich gerne verzichten. Advent, Advent, ein Lichtlein brennt … Aber was brennt nie, wenn man auf die Baustelle kommt? Genau – das Licht. Welcome to the Dark Side. Weil der Elektriker den Termin nicht einhalten konnte. Wahrscheinlich war er mit der Weihnachtspost zu beschäftigt. Aber mein Kunde auf der Baustelle will Ende nächster Woche Resultate sehen. Oh du Fröhliche.
Der Grinch nimmt einen Schluck Kaffee aus seiner Dinovatasse. Ein Geschenk von Carlotta. Er lächelt.
Aber das ist der Grund, warum ich das alles mitmache. Unsere Kunden sind es uns wert. Wenn meine über Jahrzehnte treue Kundin Ilse Schmidt einen Tag, bevor wir anrücken, uns noch mal schnell in Kenntnis setzt, dass sie und ihr Ehemann lieber „Elfenbein“ anstatt „Champagner“ für ihr Schlafzimmer wollen, machen wir unser persönliches „Weihnachtswunder“ wahr und versuchen beim Großhandel das Unmögliche möglich zu machen.
Rückblickend auf´s Jahr muss ich mir eingestehen, dass mir meine Kunden eine gute Zeit beschert haben. Vielen Dank! Also unterschreibe ich noch schnell die letzte Weihnachtskarte. Die ist zu mehr zu gebrauchen als zum Kamin anzünden. Die Frage von Carlotta kann ich auf jeden Fall für heut mal mit einem „JA!“ beantworten.